„Ich weiß, dass ich nicht weiß, oder vielleicht habe ich Unrecht.“


Quelle: Sokrates und K. R. Popper



Die halbe und die ganze Wahrheit zur Impfung

Die halbe und die ganze Wahrheit zur Wirksamkeit der Corona-Impfungen


Beitrag vom 09.12.2021

Autor: Thomas Mansky 


Berichte in verschiedenen Presseorganen erzeugen zur Zeit den Eindruck, als ob die Corona-Impfung nicht wirke. Dieser Artikel auf Tichys Einblick ist dafür ein gutes Beispiel“: https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/rki-mehrheit-der-corona-toten-doppelt-geimpft/.

Soweit sie sich auf Sachinformationen beziehen, beruhen sie im Wesentlichen auf der Aussage, dass mehr als die Hälfte der Hospitalisierten geimpft sei und dass der Anteil zwar etwas niedriger als der Anteil der Geimpften in der Bevölkerung sei, aber eben dennoch sehr hoch. Der entstehende Eindruck ist, dass die Impfung fast gar nicht hilft. Artikel mit solchen Aussagen gibt es reichlich. Die Darstellungen klingen zwar oft recht überzeugend, sind aber – wie wir sehen werden – bestenfalls die halbe Wahrheit.

Zur Erläuterung des gesamten Sachverhaltes wird hier der „Wöchentliche Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)“ des RKI herangezogen, auf den auch die genannten Artikel verweisen. Die hier genannten Zahlen stammen aus dem Bericht vom 25.11.21. Auch wenn die Zahlen sich verändern, bleibt die Logik der Interpretation vergleichbar.

Es ergibt sich folgender Sachverhalt:
1. Auch dem RKI-Bericht ist zu entnehmen, dass tatsächlich 56% der hospitalisierten COVID-Patienten (und 52,5% der Verstorbenen) in der Altersgruppe 60 und älter doppelt geimpft sind (aus Gründen der Übersichtlichkeit beschränkt sich dieser Kommentar auf diese Altersgruppe, die für die schweren Krankheitsverläufe die wichtigste ist). Die entsprechenden Daten finden sich in Tabelle 3 auf Seite 24 des genannten Berichts. Soweit stimmt also die Aussage der zuvor genannten Artikel.

2. Wie man der Impfstatistik entnehmen kann, sind in dieser Altersgruppe knapp 90% der Bürger geimpft. Wenn man also eine Aussage machen wollte, müsste diese etwa so lauten: „Die 10% der nicht-Geimpften verursachen die Hälfte der Krankenhausfälle, die andere Hälfte verteilt sich auf die 90% der geimpften Bürger dieser Altersgruppe“. Damit wird bereits klar, dass die Raten bzw. die Erkrankungsrisiken beider Gruppen sehr verschieden sein müssen.

3. Das RKI stellt in Abbildung 17 auf Seite 22 die unterschiedlichen Erkrankungsraten grafisch dar, darunter auch für die hospitalisierten COVID-19-Patienten der Altersgruppe ab 60. Beim Blick auf die Grafik erübrigt sich fast schon eine weitere Diskussion der Impfwirkung:

Abbildung 17: Inzidenz vollständig geimpfter und ungeimpfter symptomatischer und hospitalisierter COVID-19-Fälle pro 100.000 nach Altersgruppen, Impfstatus und Meldewoche (Datenstand 23.11.2021). Bitte die unterschiedliche Skalierung der y-Achsen beachten. (Hier nur Hospitalisierte ab 60). Quelle: RKI aaO

4. Man kann aus den unterschiedlichen Raten auch die Impfeffektivität berechnen. Auch diese Angaben finden sich im RKI-Bericht (Abb. 18 auf Seite 25). Die orangefarbene Kurve stellt wieder die Personen ab 60 dar. Man sieht, dass die Effektivität bezüglich Hospitalisierung und Tod bei 85% bis 90% liegt. Das deckt sich sehr gut mit den Zulassungsstudien der verwendeten Impfstoffe. Die Entwicklung der sogenannten Impfdurchbrüche bei den Geimpften ist daher, anders als in vielen Pressemeldungen dargestellt, keine Überraschung. Sie liegt im Bereich dessen, was von Anfang an aufgrund der Ende 2020 veröffentlichten Zulassungsstudien zu erwarten war.

Abbildung 18: Effektivität der COVID-19-Impfungen gegenüber symptomatischer COVID-19-Erkrankung, COVID-19 assoziierter Hospitalisierung, Intensivmedizinischer Behandlung und Todes und nach Altersgruppe (Datenstand 23.11.2021). Insbesondere für die letzten beiden Kalenderwochen ist aufgrund von zu erwartenden Nachmeldungen mit Änderungen der geschätzten Werte der Impfeffektivität zu rechnen. Quelle: RKI aaO

5. Ein Abfall der Impfeffektivität zeigt sich hauptsächlich bei symptomatischen Infektionen, aber kaum bei den schwereren Verläufen mit Hospitalisierung, Intensivbehandlung oder Tod. In dieser RKI-Auswertung wird natürlich nicht der Abstand zum zweiten Impftermin gemessen, sondern nur der Bezug zur Meldewoche dargestellt. Wenn es aber bei den schon früh geimpften Älteren einen dramatischen Einbruch gäbe, müsste man ihn auch hier sehen. Die verschiedenen Beobachtungsstudien, die zur Abschwächung der Impfwirkung (zum sogenannten „Waning“) vorliegen, geben dazu ein genaueres Bild kommen aber bezüglich der schweren Verläufe überwiegend zu ähnlichen Ergebnissen.


6. Die Booster-Impfung hebt die Schutzwirkung nach derzeitigem Wissensstand von rund 90% auf ca. 97% an. Das ist individuell ein relativ kleiner, aber sicher nicht unbedeutender Gewinn. Angesichts der großen Zahl der Menschen in der Altersgruppe ab 60 (24,1 Millionen) hat die scheinbar nur etwas höhere Schutzwirkung aber einen erheblichen Einfluss auf die absolute Zahl der Krankenhausfälle. Bei einer Impfeffektivität von 90% gibt es potenziell 2,4 Millionen „Impfversager“, die sich mit SARS-CoV2 anstecken können. Bei einer Effektivität von 97% reduziert sich diese Zahl auf rund 723.000, die sich nicht alle und vor allem nicht alle gleichzeitig anstecken werden. Daher ist die Booster-Impfung vor allem der Älteren wichtig zur Unterbrechung des Anstiegs der Krankenhaus- und der Intensivfälle. Die Impfung von Kindern hilft dagegen nicht weiter. Diese stellen nicht das Problem hinsichtlich der Krankenhausbelastung dar. 


Um auf die halbwahren Artikel zurückzukommen: In diesen wird mit zwar oft korrekten, aber einseitig ausgesuchten Zahlen gearbeitet. Das erzeugt zunächst den Eindruck von Seriosität. Wesentliche Sachverhalte, speziell die Bezüge zur Grundgesamtheit bzw. die errechneten Raten werden aber völlig unterschlagen. Die Interpretationen und die Schlussfolgerungen und der erzeugte Gesamteindruck, dass die Impfung kaum helfe, sind daher völlig irreführend. Dies ist ein falscher Eindruck, der derzeit, aus welchen Gründen auch immer, in vielen Presseberichten erzeugt wird. 


Leider wird solchen Artikeln auch durch einseitige Darstellungen der Gegenseite Vorschub geleistet. Wie die oben erörterten Zahlen zeigen, haben wir nicht nur eine Epidemie der Ungeimpften, aber eben hauptsächlich eine Epidemie der Ungeimpften. Man könnte das durchaus sachlicher darstellen. Damit würde man den Verbreitern von Halbwahrheiten auch den Nährboden entziehen. Man muss leider auch anmerken, dass die Booster-Impfung zwar die Zahl der schweren Erkrankungen deutlich weiter reduzieren wird, aber diese wird, wie zuvor dargestellt, nicht auf Null zurückgehen.


Dass die Impfung wirkt, lässt sich mit einer anderen Überlegung illustrieren: Im Zeitraum der Kalenderwochen 43 bis 46 gab es laut RKI-Bericht in der Altersgruppe ab 60 insgesamt 996 neu aufgenommene Intensivpatienten mit COVID-19, davon 462 vollständig geimpft (zu beziehen auf 90% der entsprechenden Einwohner) und 534 nicht geimpft (10% der entsprechenden Einwohner). Beide Zahlen sind wegen des Meldeverzuges eher etwas zu niedrig und mit Meldeungenauigkeiten behaftet, was aber für die Größenordnung der hier gemachte Überlegung nicht entscheidend ist. Wenn man einmal annähme, dass die Impfung nicht wirken würde und die Geimpften somit mit der gleichen Häufigkeit in die Intensivbehandlung kämen wie die nicht Geimpften, dann hätten wir rechnerisch nur in diesem Zeitraum mit 5.340 statt 996 neuen Intensivfällen rechnen müssen – zusätzlich zu den schon zuvor aufgenommenen und noch in Behandlung befindlichen. Die jüngeren Altersgruppen sind dabei noch nicht berücksichtigt. 


In der Summe der kumulativen Effekte würde damit die aktuell in Behandlung befindliche Zahl der Intensivfälle geschätzt bei rund 40.000 liegen statt der derzeit tatsächlich behandelten rund 5.000. Dies hätte tatsächlich zu einem Zusammenbruch der Versorgung geführt. Die Rechnung ließe sich mit genauerer Aufschlüsselung der Altersgruppen (liegt dem Autor nicht vor) weiter verfeinern, was aber am Sachverhalt nur wenig ändert.


Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Impfung eine erhebliche Wirkung hat. Diese lässt sich durch die Booster-Impfung sowie auch die Impfung der derzeit Ungeimpften nochmals deutlich verbessern. Ganz besonders sollte aber angemerkt werden, dass die betroffenen Personen vor allem auch ihren eigenen Schutz verbessern und daher eine Motivation zur Impfung haben sollten. Dennoch verbleibt auch bei weiterem Impffortschritt zwar ein deutlich weiter verkleinerter Anteil an Impfdurchbrüchen und damit auch an Krankenhausfällen. Dieser geht aber nicht auf Null zurück.


Perspektivisch sei angemerkt, dass eine baldige Verfügbarkeit der neueren, auf Virusproteinen basierten Impfstoffe, die sich aktuell im Zulassungsverfahren befinden, diejenigen Impfskeptiker überzeugen könnte, die Vorbehalte gegenüber den auf mRNA beruhenden Impfstoffen haben. Dies, zusammen mit einer sachlicheren Informationspolitik dürfte ein besserer Weg zur Impfung sein als ein genereller Impfzwang.


Alles in allem sind die Pressemeldungen von beiden Lagern mehr als unbefriedigend. Statt über die ziemlich klare Faktenlage zu reden, buddelt man sich in die Schützengräben ein und wirft sozusagen mit Handgranaten um sich. Glücklich sind die, die die gar nicht so unklaren Zahlen direkt lesen können bzw. wollen und die nicht auf die Sekundärberichterstattung oder die Talkshows angewiesen sind, die eher das Lagerdenken befördern als eine ruhige und sachliche Information voranzutreiben.

Kommentare

Wie können Sie teilnehmen?

Sie können uns Beiträge/Kommentare schicken. Eine Veröffentlichung behalten wir uns vor. Ein Anspruch auf Veröffentlichung besteht nicht.
Unsere Richtlinien
  • Kommentare

    Es wurde noch kein Kommentar veröffentlicht.

Beiträge aus dem Archiv


  • Der Lufthygiene-Check

    Sichere Räume in einer Pandemie

    Zum Beitrag
  • Was ändert sich mit der vierten Welle?

    Clusterbildung, Selbstregulation und Ausbreitung in der Pandemie

    Zum Beitrag
  • Relevante Hygienemaßnahmen bei der Coronapandemie

    Beitrag vom 02.12.2021


    Dieter Köhler, Gerhard Scheuch, Thomas Hausen und Thomas Voshaar

    Zum Beitrag
  • Die halbe und die ganze Wahrheit zur Wirksamkeit der Corona-Impfungen

    Beitrag vom 09.12.2021


    Autor: Thomas Mansky

    Zum Beitrag
Share by: